Gegenwartstheater

Der Forschungsschwerpunkt Gegenwartstheater umfasst das Theater des 20. und 21. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Politisches Theater der Gegenwart, Spielweisen des Postdramatischen, Schauspieltheorie, Theater und Digitalität sowie Fragen der Antidiskriminierung, Dekolonisierung und Widerstandsästhetik in den Darstellenden Künsten. In studiengangsübergreifenden Projekten und Lehrveranstaltungen haben die Studierenden (insbesondere der Studiengänge Schauspiel, Klassischer und Zeitgenössischer Tanz, Master of Arts in Education — MAE sowie des Musikalischen Unterhaltungstheaters) die Möglichkeit, in spezifischen Wahlfächern und projektorientierten Formaten in vielfältiger Weise an den Forschungstätigkeiten zu partizipieren. Die nachhaltige Umsetzung von gewonnenen Erkenntnissen fließt in die Lehrveranstaltungen mit ein und wird durch die damit verbundene Weiterentwicklung der Curricula gesichert.

 

Aktuelle Forschungsschwerpunkte

Theater & doppeltes Bewusstsein. Zur Verhandlung dissoziativer Phänomene in Schauspieltheorien um 1900

Das von Ass.Prof.in Dr.in Rosemarie Brucher durchgeführte Habilitationsprojekt interessiert sich aus historischer Perspektive für die Zusammenhänge von Schauspieltheorie und Psychowissenschaften. Vor diesem Hintergrund lautet die Ausgangsthese, dass die identitäre Wandlungsfähigkeit, die dem*der Schauspieler*in seit Platon zugeschrieben wurde, um 1900 mit den psychowissenschaftlichen Theorien zum Un(ter)bewussten interdiskursiv enggeführt wird. Dabei spielt vor allem die Auseinandersetzung mit dissoziativen Bewusstseinsphänomenen, d. h. die Desintegration psychischer Funktionen, die bis zur Spaltung des Ich im Sinne eines doppelten Bewusstseins führen kann, eine zentrale Rolle. Denn das gespaltene Bewusstsein gerät nun zum diskursiven Knotenpunkt, an dem psychologisches und medizinisches Wissen in andere Diskursbereiche übergeht. Dies hat zur Folge, dass die traditionellen identitätstheoretischen Fragen zum*zur Schauspieler*in nun vor einer neuen Episteme verhandelt werden, wodurch sie zu Fragen des Bewusstseins transformieren, was wiederum Veränderungen in den verwendeten Begriffen, Konzepten und Theoremen mit sich bringt.

 

Politisches Theater des 20. und 21. Jahrhunderts

Ausgehend von Erwin Piscator über Peter Weiss bis hin zu Milo Rau, Elfriede Jelinek und weiteren Akteur*innen der Gegenwart beschäftigt sich Univ.-Prof.in Dr.in Karoline Exner in ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit mit dem Politischen Theater des 20. und 21. Jahrhunderts. Dabei thematisiert sie vor allem die Themen Politische Kunst im internationalen Vergleich, Kunst und Politik sowie im Rahmen des Interuniversitären Forschungsverbunds Elfriede Jelinek, dessen stellvertretende Leitung sie auch ist, politisch-ästhetische Verfahren bei Elfriede Jelinek. Als Keynote-Speakerin hat sie 2017 die Internationale Konferenz für Theaterstudien an der West-Universität Temeschwar, Hochschule für Musik und Theater (Rumänien) eröffnet, die in Kooperation mit dem Theaterfestival für Politische Kunst am Nationaltheater durchgeführt wurde.

 

Kontakt im Raum — Wie das Sehen unsere Anwesenheit im Raum und unsere Stimme und Sprechen führt

Das Forschungsfeld von Univ.-Prof.in Steffi Hofer beschäftigt sich mit Räumlichkeit aus leiblicher und architektonischer Sicht. Als leibliche Räume sind hier Resonanzräume und Artikulationsräume gemeint, wohingegen der architektonische Raum den Umraum beschreibt. Die Forschungsarbeit geht davon aus, dass Raum uns beeinflusst und neu entstehen lässt. Hierbei wird der Sehvorgang als Wahrnehmungskanal in seiner Vielfältigkeit untersucht. Gesehenes, Vorgestelltes, Visualisiertes wird in seiner Fülle und Plastizität zuerst innerhalb der intrapersonellen Räume wieder sichtbar. Aber auch die Brüchigkeit innerhalb der Räume hat ihre eigene Erzählung. Die Brüchigkeit ergibt sich aus den Schwellen oder Übergängen innerhalb des Gesehenen. Hierbei machen Unterbrechungen einen neuen Raum auf. Der verbale und nonverbale Ausdruck greift diese Räumlichkeit auf. Die Forschungsarbeit stellt die Frage nach der Verfügbarkeit des Sehvorgangs. Inwieweit kann das Dazwischen, Dahinter, Davor wieder Teil des Handelns und des Ausdrucks werden?

 

Theater und Digitalität

Ein weiterer Schwerpunkt im Forschungsbereich Gegenwartstheater an der MUK ist das Thema Theater und Digitalität. In den letzten beiden Studienjahren haben hier zukunftsweisende Vorträge und Projekte stattfinden können. Auch Univ.-Prof.in Mag.a Alexandra Riener bringt ihre Expertise im Bereich Theater und Digitalität in den Forschungsschwerpunkt Gegenwartstheater ein. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich der Erzählformen/Dramaturgien im digitalen Raum, in der Erforschung des digitalen Raums versus analogen Raums und der daraus resultierenden partizipativen Erweiterungen sowie in der Beschäftigung mit Roboterdarsteller*innen.

 

Elfriede Jelineks Werke, Themen und Verfahren

Der Interuniversitäre Forschungsverbund Elfriede Jelinek ist eine gemeinsame Einrichtung der Universität Wien und der MUK. Dieses Zusammenwirken ist nicht nur ein innovatives Modell der Kooperation einer Wissenschafts- und einer Kunstuniversität, sondern ergibt sich auch konsequent aus Elfriede Jelineks intermedialer Arbeitsweise und aus ihrer starken Affinität zur Musik, zum Theater, zum Musiktheater, zum Tanz und zum Film. Im interuniversitären Dialog vernetzt der Forschungsverbund Wissenschaft und Kunst. Er erarbeitet neue interdisziplinäre Methodiken und Formate und entwickelt neue Formen künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung. Univ.-Prof.in Dr.in Karoline Exner hat in ihrer Funktion als stellvertretende Leiterin des Forschungsverbunds und Mitarbeiterin des Forschungsschwerpunkts Gegenwartstheater in den letzten Jahren zahlreiche künstlerische Projekte, Vorlesungen, Gastvorträge an Partneruniversitäten sowie Publikationen in diesen Bereich eingebracht und auch Kolleg*innen und Studierende in ihre künstlerisch-wissenschaftliche Forschungstätigkeit in diesem Bereich mit einbinden können, u. a. bei den Symposien Elfriede Jelinek — Nestbeschmutzerin & Nobelpreisträgerin (2016), Elfriede Jelineks Burgtheater — eine Herausforderung (2017), Wissenschaft.Kunst.Gesellschaft (2020), Politisch-ästhetische Verfahren im Werk von Elfriede Jelinek (2020), Kunst.Politik.Moral (2020), Text.Notation.Performance (2021), Elfriede Jelinek: Theater.Musik.Film (2021), Geschlecht.Genie.Gewalt (2022), Wort.Musik.Theater (2022).

 

Spielweisen des Polyphonen

Das Forschungsvorhaben geht auf die Beobachtung zurück, dass es für das Sprechen und Vorführen postdramatischer Theatertexte, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen und sich durch eine polyphone, defigurative und postidentitäre Rede auszeichnen, keine in sich geschlossenen Sprech- und Schauspieltechniken gibt. Vor diesem Hintergrund fragt das Projekt danach, wie postdramatische Theatertexte artikuliert, vorgeführt, verkörpert oder auf eine gestische Weise gezeigt werden können. Ziel ist es, praktische Ansätze der schauspielerischen Textgestaltung zu entwickeln, die der Polyphonie postdramatischer Theatertexte gerecht werden und in die gegenwärtige Schauspielausbildung integrierbar sind.

Projektteam: VRin Ass.Prof.in Dr.in Rosemarie Brucher, Univ.-Prof.in Dr.in Karoline Exner, Dr. Adam Czirak (Universität Wien), Tobias Herzberg, BA (Universität für angewandte Kunst Wien)

 

Exemplarisch verwiesen sei auf vier BA-Arbeiten im Bereich Gegenwartstheater, die jeweils mit einem Förderstipendium der Kulturabteilung der Stadt Wien (à EUR 1.000,—) ausgezeichnet wurden:

Jakob Egger: Theater vs. Facebook — Theater als Ort der Öffentlichkeit. Eine Untersuchung zur Verarbeitung und Rezeption der Historie im Theater (2017; Betreuung: Univ.-Prof.in Dr.in Karoline Exner)

Vivienne Dejon: Musical als moralische Anstalt: Trifft Schillers Bezeichnung des Theaters als moralische Anstalt heute auch auf das Musical im deutschsprachigen Raum zu? (2020; Betreuung: Univ.-Prof.in Dr.in Karoline Exner)

Felix Erdmann: Das Nichts auf der Bühne — Reduktion und Abwesenheit dramatischer Elemente zur Steigerung der darstellerisch-narrativen Effizienz (2020; Betreuung: Univ.-Prof. Mag. Nicolai Gruninger)

Lara Sienczak: are you a boy or a girl? — no! Über die Dekonstruktion des binären Geschlechtermodells im Schauspiel (2020; Betreuung: Ass.Prof.in Dr.in Rosemarie Brucher)

 

Publikationen (Auswahl)

In den letzten Jahren haben die Forscher*innen der MUK in zahlreichen Publikationen ihre Forschungsschwerpunkte ausformuliert und dem Fachpublikum zur Verfügung gestellt. Die Auswahl der hier gelisteten Publikationen steht in unmittelbaren Kontext zu den oben formulierten Themenbereichen.

Brucher, Rosemarie: Mimesis und Identitätskritik: Schauspiel und die „Vielheit des Ich“ bei Platon, Diderot und Lacoue-Labarthe. In: Forum Modernes Theater 30 (2019) H. 1-2, 5-18.

Exner, Karoline: Im Schatten der Politik. Strategien für ein politisches Theater der Gegenwart im Werk von Elfriede Jelinek. In: A. Heinz, S. Teutsch (Hrsg.): Kunst & Politik. Wien 2021: Praesens, 105-119.

Exner, Karoline: Spielen heißt handeln. Über politische Vorgänge auf der Bühne, in: DramArt 6 (2017), 11-24.

Gruninger, Nicolai: Auf welches Instrument sind wir gespannt? Ein Essay über den klingenden Seelenraum und die Heilkraft des Hörens. In: Poltrum, M. et al. (Hrsg.): Ästhetik in der Therapie. Berlin: Parodos 2015, 158-170.

Hofer, Steffi: Kontakt im Raum. Der Sehvorgang als wichtiger Bestandteil in der Sprecherziehung. In: W. Kranich (Hrsg.): Sprechwissenschaft heute. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2020, 34-44.


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Die MUK versteht sich als progressive Musik- und Kunstuniversität, die in den Bereichen Musik, Tanz, Schauspiel und Gesang kulturelle Werte schafft. Die MUK ist die einzige Universität im Eigentum der Stadt Wien und vereint hier den international besten Nachwuchs und herausragende Lehrende.
 

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