Ass.Prof.in Dr.in Rosemarie Brucher verfasst ihre Qualifikationsschrift (Habilitation) zum Thema: Theater & Bewusstsein. Zur Verhandlung dissoziativer Phänomene in Schauspieltheorien um 1900.
Auf der Grundlage philosophischer sowie psychologischer Überlegungen zur Vielheit des Ich etabliert sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Annahme, dass das Ich keine stabile und einheitliche Größe darstellt, sondern dass dessen potentielle Vielheit sowie prekäre Durchlässigkeit ein genuiner Zustand sind. Parallel dazu rücken ab den 1880er Jahren Verfahren der Hypnose und Suggestion bzw. Zustände des Somnambulismus und der Trance, kurz, der „nichtbewussten Intelligenz“ (Dessoir), ins Zentrum psychowissenschaftlicher Aufmerksamkeit, um über die Erforschung dieser veränderten Bewusstseinsverhältnisse Aufschluss über die „verborgenen Sphären“ des Ich zu erlangen. Die Multiplizität des Ich bzw. das „ungeheure Rätsel der menschlichen Verwandlung“ (Bahr) sind auch zentrale Themen diverser Schauspieltheorien.
Vor diesem Hintergrund lautet die Ausgangsthese des Projekts, dass die identitäre Wandlungsfähigkeit, wie sie dem*der Schauspieler*in seit Platon zugeschrieben wird, um 1900 mit den psychowissenschaftlichen Theorien zum Unbewussten in ein interdiskursives Wechselverhältnis tritt. Dies hat zur Folge, dass die identitätstheoretischen Fragen zum*zur Schauspieler*in nun vor einer neuen Episteme verhandelt werden, die diese in Fragen des Bewusstseins bzw. der Persönlichkeit überführt, was wiederum Veränderungen in den verwendeten Begriffen, Konzepten, Theoremen und ästhetischen Prozessen mit sich bringt.