Dr.in Julia Meer MA entwickelt in ihrem interdisziplinär angelegten Projekt anhand der etruskischen und lukanischen Grabmalereien ein liminales Bildverständnis. Im Wintersemester 2020/21 wird das Projekt vom „IFK – Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften“ gefördert.
Etruskische und lukanische Grabmalereien sind vom Ende des 8. bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts vor Christus dokumentiert, ihre Blütezeit liegt zwischen 530 und 460. Neben ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung legen sie eindrucksvoll Zeugnis für das dem Bild eigene Verhältnis zum Tod ab. In der Bildforschung der zweiten Hälfte des 20. Jhs., vor allem der Bildanthropologie, wird der Zusammenhang von Bild und Tod vermehrt diskutiert. Die etruskischen und lukanischen Grabmalereien bleiben darin weitgehend unbedacht, obwohl sie eine herausragende Stellung innehaben und einige Besonderheiten aufweisen, die für den Bildbegriff und die daran anschließenden Debatten zentral sind: Vor allem die archaisch-etruskischen Darstellungen zeigen viele Szenen des alltäglichen (aristokratischen) Lebens und kaum mythische oder Jenseitsdarstellungen. Sie versprühen (paradoxerweise) eine große Lebensfreude, wie sich z.B. an Tanzdarstellungen ebenso zeigt wie an Symposien und Trinkspielen. Während Grabmäler eine Erinnerungsfunktion für die Hinterbliebenen sowie eine Repräsentationsfunktion für die Verstorbenen erfüllen und aus diesem Grund nach außenorientiert, das heißt aufsuch- und einsehbar sind, wenden sich die etruskischen und lukanischen Gräber nach innen.
Ausgehend von diesen Spezifika manifestiert sich an ihnen, so die zentrale These des Forschungsprojektes, ein alternativer Bildbegriff: Die Bilder sind kein dekoratives Beiwerk, sie erfüllen aber auch keine Repräsentationsfunktion und dienen nicht der Erinnerung. Gleichzeitig lassen sie sich aber auch nicht als magisch, Heils- oder Zauberbilder bestimmen und entziehen sich daher der in der Forschung verwendeten Terminologie. In Anlehnung an Victor Turner wird vielmehr der liminale Charakter dieser Bilder betont. Turner beschreibt damit in der Ethnologie einen Schwellenzustand, in dem sich Gruppen oder auch Individuen befinden, wenn sie sich von einer herrschenden Sozialordnung gelöst haben. Während dieses Zustandes besitzen sie weder die Eigenschaften der vorigen noch der zukünftigen Ordnung. In diesem Sinne stehen auch die Bilder strukturell wie inhaltlich an der Schwelle von An- und Abwesenheit, Dies- und Jenseits, Tod und Leben.
Weitere Informationen:
https://ifk.ac.at/fellows-detail/julia-meer.html