Der Soziologe und Politikwissenschafter Hartmut Rosa identifiziert sowohl die „Angst vor dem Verstummen der Welt“ als auch die „Sehnsucht nach resonanten Weltbeziehungen“ als „Motor künstlerischen Schaffens und der Rezeption von Kunst“.1 Nach Rosa ist Kunst eine „zentrale Resonanzsphäre des modernen Lebens“, wobei die Spezifität von Kunst darin liege, dass sie „die gesamte Bandbreite der (zu einem historischen Zeitpunkt kulturell) möglichen Weltbeziehungen nachzubilden und zum Ausdruck zu bringen und damit fühlbar zu machen vermag.“2 Kunst als „ästhetische Resonanz“ wird somit zu einer Sphäre, in der Wirklichkeit erforscht und erweitert werden kann, in der „Möglichkeiten und Grenzen von Weltbeziehungen“ erfahrbar werden.
Resonanz kommt vom lateinischen resonare, das widerhallen, ertönen bedeutet. Eine Resonanzbeziehung ist in diesem Sinne also ein „Antwortgeschehen“3. Ausgehend davon, dass es im Augenblick des Schweigens bzw. der Stille zu einem „gesteigerten Gewahrwerden unserer selbst in der Welt“4 kommt, steht dieses Momentum im Fokus der Betrachtung von Resonanzgeschehen: Wann und unter welchen Bedingungen kommt es im Schweigen, in einer Pause oder Stille zu einer Resonanzbeziehung als Antwortgeschehen zwischen Subjekt und Welt? Und wo liegt das Potenzial des Unterbrechens und Innehaltens, um Resonanzbeziehungen zwischen Künstler*in und Rezipient*in herzustellen, so dass Kunst (im analogen und digitalen Raum) tatsächlich als ästhetische Resonanz fungiert und in die Gesellschaft hineinwirkt?
Kunst wird als „Möglichkeitsraum“5 gesehen, in dem durch (performative) Versuchsanordnungen Resonanzgeschehen untersucht, Wirklichkeitskonstruktionen hinterfragt und neue Realitäten erprobt werden. Theater, Musik, Performance wird damit idealerweise selbst zu einem ästhetischen Resonanzraum, in dem durch die künstlerische Auseinandersetzung mit Resonanzbeziehungen neues Wissen entsteht und sichtbar wird.
Ein intensives Agieren und Resonieren findet im gemeinsamen Musizieren statt, sowohl auf horizontaler Ebene zwischen den Musiker*innen untereinander bzw. zwischen Musiker*innen und Publikum als auch zwischen Instrumentalist*in und Instrument (Resonanzkörper) bzw. dem Instrumentalspiel selbst (Tätigkeit)6. Beim Singen ist es der eigene Körper, der unmittelbar als Resonanzkörper fungiert. In der Musik resonieren aber auch mehrere Töne aufeinander, im musikalischen Thema der Nachsatz auf den Vordersatz oder im mehrsätzigen Werk die Sätze aufeinander.7
Das Zentrum für Wissenschaft und Forschung widmet sich diesen Themenstellungen sowohl in wissenschaftlichen als auch in künstlerischen und nicht zuletzt in künstlerisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzungen.
(Text: Dora Schneider, Karoline Exner, Christina Tschernitz)
1 Rosa, H. (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp, S. 484.
2 Ebd. Siehe Kap. 3: Die Kraft der Kunst, S. 472ff.
3 Ebd. S. 478.
4 Böhme, H. (2007): Raum – Bewegung – Grenzzustände der Sinne. In: Lechtermann, C./Wagner, K./Wenzel, H. (Hg.): Möglichkeitsräume. Zur Performativität sensorischer Wahrnehmung. Berlin: Wuppertaler Schriften 10, S. 68.
5 Lehmann, H.-T. (2001): Bruchstücke zu einem Denken des Theaters als Möglichkeitsraum. In: Broszat, T./Hattinger, G. (Hg.): Theater Etcetera. München: Spielart Festival, S. 13-20.
6 Mahlert, U. (2020): Gelingende Weltbeziehungen. Musikpädagogische Überlegungen zu Hartmut Rosas Theorie der Resonanz. In: Bradler, K./Michel, A. (Hg.): Musik und Ethik. Ansätze aus Musikpädagogik, Philosophie und Neurowissenschaft. Münster: Waxmann Verlag, S. 141.
7 Ebd.