„Tout comprendre c'est tout pardonner“ meinte einst Madame de Staël und der österreichische Drehbuchautor Walter Reisch machte daraus den Schlager „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ für den Film Ein blonder Traum (1932) zur Musik von Werner Richard Heymann. Kurz darauf mussten beide emigrieren. Verstehen war nicht mehr gefragt.
Umso wichtiger scheint es in Zeiten, in denen von gesellschaftlicher Spaltung, von Verständnislosigkeit und Unduldsamkeit gegenüber anderen Meinungen und Positionen die Rede ist, auf eine der zentralen Notwendigkeiten menschlichen Zusammenlebens zu rekurrieren: dem Verständnis. Ohne gegenseitiges Verstehen keine Kommunikation, kein sinnvolles Miteinander.
Gerade jenen beiden Disziplinen menschlichen Denken und Schaffens, die an der MUK zentral sind – Kunst und Wissenschaft – ist Verstehen ein zentrales Anliegen.
Wissenschaft forscht und will verstehen „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wie es Goethes Faust formuliert. Auch den Künsten ist das Verstehen des Menschen und seiner Umwelt ein zentrales Motiv.
Der Wunsch nach Verstehen ist auch ein Wille zum Wissen. Das Verhältnis von Verstehen und Wissen wird angesichts von abrufbarem Wissen und künstlicher Intelligenz gerade neu verhandelt. Wenn Wissen mehr ist als nur die Ansammlung von Fakten, dann setzt es Verstehen voraus. Verstehen ist das Ziel allen Wissens, aller Suche nach Erkenntnis. Umgekehrt ist ein Verständnis ohne Wissen schwer möglich.
Kunst und Wissenschaft können als zwei unterschiedliche Wege zur Erkenntnis, als zwei unterschiedliche Formen des Wissens betrachtet werden. Umso wichtiger, dass sich beide gegenseitig verstehen. Weshalb das Jahresthema auch explizit als das gegenseitige Verstehen von Wissenschaft und Kunst, von Theorie und Praxis verstanden werden will.
Ein Jahresthema ist keine neue, zusätzliche Aufgabe einer Universität,
sondern eine Re-Kontextualisierung der bestehenden künstlerischen und wissenschaftlichen Forschung, Lehre und Praxis.
Dabei geht es darum Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen, einander zu verstehen und eine gemeinsame Sprache zu finden.
Mit dem Jahresthema 2025/26 laden wir ein unsere tägliche Arbeit des Verstehens zu reflektieren und das Vergnügen der Erkenntnis mit möglichst vielen Menschen in- und außerhalb der MUK zu teilen.
(Text: PD Dr. Claus Tieber)