Die Musik- und Kunst-Privatuni der Stadt Wien arbeitete ihre NS-Vergangenheit auf, an die nun eine Gedenktafel erinnert. Zudem wurde ein Buch an die Nachfahren einer Wiener Jüdin zurückgegeben.
Dass Bücher einem eine neue Welt eröffnen können, ist bekannt. Im Falle eines eigentlich sehr kleinen Büchleins war das auf mehreren Ebenen der Fall. Der Titel würde das bei dem musiktheoretischen Laien nicht unbedingt erwartbar machen: „Ratschläge für Ausführungen klassischer Symphonien. Band II: Schubert und Schumann“, heißt es. Doch als Mitarbeiter der Musik- und Kunst-Privatuniversität der Stadt Wien (MUK) im Zuge der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Bibliotheksbestände des Hauses das Büchlein aufschlugen, habe sich „ein ganzes Universum an Kulturgeschichte aufgetan“, erzählte der Rektor der Uni, Andreas Mailath-Pokorny, am Dienstag.
Handschriftliche Widmung
Der Grund war eine handgeschriebene Widmung: „Frl. Dr. Else Bienenfeld zum Andenken an F. Weingartner, Wien Jänner 1920“. Diese Widmung löste einiges aus, unter anderem die feierliche Übergabe des Buches an die in London lebenden Erben von Else Bienenfeld am Dienstag an der Uni in der Johannesgasse im ersten Wiener Bezirk. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) übergab der Großnichte Susie Deyong das Buch.
Danach enthüllten die beiden im Beisein von Wissenschaftsstadträtin Veronica Kaup-Hasler und dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch eine Gedenktafel an der Uni, die an die Geschichte der MUK erinnert. An ihrem Standort wurde nämlich wenige Monate nach der Annexion Österreichs im Sommer 1938 nach der Auflösung mehrerer Konservatorien die „Musikschule der Stadt Wien“ von den Nationalsozialisten gegründet. Auf der Tafel ist auch das Bekenntnis der heutigen Unis zur „Stärkung des Kunst- und Kulturschaffens im Geiste der Freiheit, der Unabhängigkeit und der Toleranz“ eingraviert. Der Text auf der Tafel ist in den vier Sprachen, die von Studierenden an der MUK am häufigsten gesprochen werden, geschrieben: neben Deutsch Chinesisch, Koreanisch und Russisch.
[…] Mit der Aufarbeitung der Geschichte der MUK während der NS-Zeit befasst sich das umfassende Forschungsprojekt „Hausgeschichte – Zeitgeschichte“ eines Teams um den Historiker Oliver Rathkolb. Die daraus resultierende 300 Seiten starke Publikation Die Musikschule der Stadt Wien im Nationalsozialismus – Eine ideologische Lehr- und Lerngemeinschaft ist 2020 im Hollitzer-Verlag erschienen. Darin werden nicht nur die erzwungene Gleichschaltung des Wiener Musikschulwesens und die inhaltlichen Auswirkungen auf die Kunstszene erörtert, sondern auch die Profiteure und Opfer des NS-Systems dokumentiert.
Zudem wird man in einem Gedenkbuch auf einer gleichnamigen Online-Plattform laufende Forschungsergebnisse ergänzen, wie Susana Zapke von der MUK betonte.
Der Standard, 27.04.2022
Von Colette M. Schmidt (Quelle)