Kritiken - Medienclippings - Details

Salzburger Festspiele: Forschung am „Backlash des 'Jedermann'“

Mo, 18.08.2025, 09:46 Uhr

Nach über einhundert Jahren Geschichte sehen sich die Salzburger Festspiele (wie viele andere Kulturinstitutionen auch) mit strukturellen Fragen konfrontiert, was Diversität, Macht und Repräsentanz betrifft. Dabei sticht die anhaltende Abwesenheit von Frauen besonders ins Auge, sowohl in der Organisation als auch der künstlerischen Produktion: Dirigentinnen, Autorinnen, Komponistinnen.

Die Forschung will nun den Festivaltanker zukunftsfit machen. Erstmals veranstaltet das Interuniversitäre Forschungsnetzwerk Elfriede Jelinek gemeinsam mit der MUK (Musik- und Kunst-Privatuniversität Wien) eine Festspiel-Academy, die ab Freitag Perspektiven der Erneuerung herausarbeitet. Pia Janke ist Literatur- und Theaterwissenschafterin und hat die Festspiel-Academy mitinitiiert. […]

Janke: Aus meiner Sicht fehlt ein generelles Bewusstsein für diese Fragestellungen. Wenn man sich den Spielplan anschaut, merkt man kein gesteigertes Bemühen um Diversität. Da fehlen Autorinnen, Komponistinnen, Regisseurinnen, Dirigentinnen. Es ist viel zu tun, würde ich sagen. Es geht auch grundsätzlich um ein nach außen getragenes Selbstverständnis, es ist schließlich auch ästhetisch relevant, wie genderbewusst Formate sind. Dass der Jedermann immer mehr ins Zentrum rückt, ist seltsam, zumal hier ja alljährlich ein völlig überkommenes Frauenbild reproduziert und gefeiert wird.

STANDARD: Was muss sich ändern?

Janke: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wäre wichtig, denn sie enthält Brüche. Beim staatstragenden Festakt zur Eröffnung der Festspiele beruft man sich in den Reden immer auf einen vom europäischen Gedanken umwehten Gründungsmythos, auf das „Friedensprojekt“ Festspiele. Aber wenn man sich diese Texte von damals genau anschaut, muss man sagen, so völkerverbindend waren sie nicht – und dazu gibt es seit mehr als 25 Jahren wissenschaftlichen Konsens: Es gab starke antimoderne, antifeministische, antisemitische und deutschnationale Strömungen. Die Salzburger Festspiele sind eine Geschichte „großer“ Männer von Max Reinhardt bis Herbert von Karajan. Das und dessen Wirken bis heute wissenschaftlich aufzuarbeiten wäre notwendig.[…]

STANDARD: Mit dem Jedermann wird alljährlich das Narrativ gefeiert: Der Mann ist Chef, der Rest Beiwerk, und trotz seines üblen Charakters steigt er am Ende gut aus. Ist es nicht frappierend, dass sich alljährlich alle darum scharen?

Janke: Wenn man den Text genau betrachtet, ist es ein Stück Rekatholisierung, eine Wiederverpflichtung zu Gott und die Wiederherstellung eines patriarchalen Kosmos. Das wird in den jüngeren Inszenierungen verständlicherweise nicht so herausgearbeitet. Ich denke, der Backlash des Jedermann geht mit einer politischen Entwicklung einher. Es ist so ein großes Event, reproduziert aber ganz traditionelle Frauen- und Männerbilder. Das ist sehr fragwürdig. […]

Forscherin über „Jedermann“ in Salzburg: „Völlig überkommenes Frauenbild“. Die Universitätslehrende Pia Janke will mit einem Forschungsprojekt zur Erneuerung der Salzburger Festspiele beitragen. Am Freitag startet eine Festspiel-Academy
Der Standard, 12.08.2025
Interview von Margarete Affenzeller (Link