Im Frühjahr 1924 begannen die Vorarbeiten zur Errichtung der Sendeanlagen der RAVAG (Radio-Verkehrs-Aktien-Gesellschaft). Der erste Sendetag am 1. Oktober 1924 wurde mit Musik von Richard Wagner, aufgeführt von der Künstlerkapelle Silving, festlich eröffnet.
Drei klar formulierte Aufgaben stellte sich der neue „Rundspruch“: „Bildung, Belehrung, Unterhaltung und Propaganda im Ausland für das geistige und kulturelle Niveau des heutigen Österreich und seiner Bewohner“ (RAVAG-Bericht von 1925). Zu diesem Zweck wurden drei Abteilungen gegründet: die wissenschaftliche, die musikalische und die literarische. Aufklärung und Bildung für ein breites Publikum standen somit im Mittelpunkt des RAVAG-Konzepts, was im Vergleich zu den USA oder Deutschland, wo die Unterhaltung im Vordergrund stand, ein Alleinstellungsmerkmal des österreichischen Rundfunks darstellte. Im Zeichen der Ersten Republik und des sozialdemokratischen Volksbildungsgedankens war das Massenmedium Radio somit ein ideales gesellschaftliches Gestaltungsinstrument.
Von der Fremdenverkehrsförderung bis zum anspruchsvollen Musikprogramm — inklusive Operetten- und Opernaufführungen —, von der verständlichen Vermittlung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse über Sprachkurse bis zur Einrichtung einer „Radiobühne“ mit prominenten Gastregisseuren deckte die RAVAG das gesamte kulturelle Spektrum von „ernst“ bis „populär“ ab.
1934 wurde das RAVAG-Gebäude in der Johannesgasse im 1. Wiener Gemeindebezirk von den Nationalsozialisten illegalen gestürmt und 1938 zugunsten des Berliner Reichsrundfunks (Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, RRG/ab 39: Großdeutscher Rundfunk) abgelöst. Es entstand der Reichssender Wien, der der RRG unterstand. 1945 wurde der Sendebetrieb der RAVAG auf Veranlassung der sowjetischen Besatzungsmacht wieder aufgenommen. Erst 1953 wurde aus der RAVAG der Österreichische Rundfunk, dem alle Sender der Besatzungsmächte angegliedert wurden.
Die Fachtagung zur Geschichte der RAVAG, die bis 1938 ihren Sitz in der Johannesgasse 4a — der heutigen Adresse der MUK — hatte, lädt dazu ein, sich dem vielfältigen Programm des ersten österreichischen Rundfunks zu nähern und erste Einblicke in wenig beleuchtete Aspekte eines kulturell wirksamen Massenmediums zu gewinnen. Die RAVAG spielte von seiner Gründung 1924 bis zu seiner Auslöschung 1938 sowie während der Besatzungszeit von 1945 bis 1953 eine kohäsive gesellschaftliche Rolle und wurde zum Dreh- und Angelpunkt nationaler und internationaler Imagebildung.
Eine Veranstaltung der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien im Rahmen des Programmschwerpunkts „100 Jahre Radio in Österreich, 80 Jahre MUK“ in Kooperation mit dem DokuFunk-Archiv sowie mit Radio Österreich 1.
Konzeption und Koordination: Susana Zapke (MUK) in Kooperation mit Paulina Petri (DokuFunk-Archiv) sowie mit Christian Scheib (Ö1).
Foto: Kleines Studio der RAVAG 1930 © Hermann Brühlmeyer / Austrian Archives / brandstaetter images / picturedesk.com.
Mittwoch, 23. Oktober 2024
9:00 Uhr: Begrüßung durch MUK-Rektor Andreas Mailath-Pokorny
Begrüßung durch Paulina Petri, Christian Scheib und Susana Zapke
I. Grundlagen einer kulturpolitischen Entscheidung: Wie politisch war die RAVAG?
(Moderation: Susana Zapke)
9:30 Uhr: Pensold, Wolfgang (TMW): 100 Jahre Radio in Österreich – Geschichte einer nationalen Medienapparatur
10:00 Uhr: Hubner, Christoph (DokuFunk): Der Österreichische Rundfunk und der Föderalismus. Der ORF und seine neun Landesstudios
10:30 Uhr: Theis, Ernst: Radio Hekaphon, der erste österreichische Sender im politischen und künstlerischen Spannungsfeld 1923—1934
11:00 Uhr: Pause
11:30 Uhr: Rathkolb, Oliver (Univ. Wien): Russische Stunde: Die RAVAG und die Rundfunkpolitik zwischen Proporz und Kaltem Krieg 1945—1955
12:00 Uhr: Berner, Elias (mdw): RAVAG gegen Rot-Weiß-Rot: Konkurrenz um die Nachkriegshörerschaft
12:30 Uhr: Mittagspause
II. Archivbestand und -verlust
(Moderation: Elias Berner)
13:45 Uhr: Liensberger, Michael (ORF): Das verschollene RAVAG Archiv
14:15 Uhr: Kapeller, Johannes (Mediathek): Schallplatten auf Sendung: Schellackplatten als Quelle der Radiogeschichte
14:45 Uhr: Petri, Paulina (DokuFunk): DokuFunk und Rundfunkforschung: Archivbestände und Fallbeispiele aus dem Projekt OE100RADIO
15:00 Uhr: Abschlussworte
Donnerstag, 24. Oktober 2024
III. Personen und Programmatik
(Moderation: Claus Tieber)
9:30 Uhr: Benedik, Stefan (HdGÖ) und Johannes Pötzlberger (HdGÖ): „Gott schütze Österreich“ — Medienkarrieren einer Untergangsinszenierung der RAVAG
10:00 Uhr: Eichmann, Hannes (Ö1): Geschichte der vielfältigen Beziehungen zwischen der RAVAG und den Salzburger Festspielen
10:30 Uhr: Gottfried, Daniel (MUK): Orgelmusik und Organist:innen in der RAVAG
11:00 Uhr: Scheib, Christian (Ö1): Anmerkungen zur Rolle von Friedrich Wildgans von seinen ersten Kontakten zur Johannesgasse in den 1930er Jahren bis zu seinen ersten RAVAG-Sendungen zur zeitgenössischen Musik ab 1946
11:30 Uhr: Pause
12:00 Uhr: Basaran, Aylin (DokuFunk): Die frühe Radiobühne der Ravag — zwischen Kunst und Politik
12:30 Uhr: Zapke, Susana (MUK): Die Wiener Konservatorien am Puls der Zeit. Personelle und programmatische Interaktionen mit der RAVAG (1924—1938)
13:00 Uhr: Mittagspause
IV. Tonzeugen: Schelllack-Sammlungen und Phonogrammarchiv
(Moderation: Christian Scheib)
14:30 Uhr: Fennesz-Juhasz, Christiane (Phonogrammarchiv, ÖAW) und Erna Ströbitzer (ÖNB): Die Volksliedersingen der RAVAG 1934—1937
15:00 Uhr: Hirschenberger, Wolfgang und Gerlinde Hnatek: Radio der Anfangszeit. Ein Programm für jedermann (1924—1938)
15:30 Uhr: Abschlussworte