Nicht nur in Zeiten multipler Krisen stellt sich die Frage, wie die Theaterbühne zum Verhandlungsraum gesellschaftlicher Fragen und lokaler Diskurse werden kann. Dies gilt insbesondere bei Vermittlungsformaten, die die Perspektiven diverser Dialoggruppen einbeziehen und mit Mitteln der Kunst verhandeln. In seinem Gastvortrag gewährt Musikwissenschaftler und Theatermacher Dr. René Michaelsen Einblicke in einen künstlerisch-forschenden Zugriff auf jüngste Stadtgeschichte, den er seit 2016 im Kölner Theater am Bauturm in Zusammenarbeit mit Schauspieler Laurenz Leky und Regisseurin Nina Gühlstorff entwickelt und praktiziert hat. Am Beispiel der Produktionen Petermann. Eine kölsche Paranoia (2017), Biotopia. Ein Kölner Bestiarium (2020) sowie der aktuellen Produktion Millowitsch — Endlich wieder lachen (2025) erläutert Michaelsen das Konzept des dokumentarischen Volkstheaters, das sein Material aus empirischen Interviews mit Einheimischen und Expert*innen gewinnt. Die Resultate werden zu Bühnenmonologen transformiert und mit Szenen verbunden, die aus Improvisationen der Schauspielenden entstehen. So formiert sich ein genreübergreifendes Theater jenseits der Zuschreibungen von Hoch- und Trivialkultur: Die Arbeiten gehen von der Überzeugung aus, dass Diskurse zirkulieren und demnach in der Alltagspraxis der Menschen gleichermaßen fassbar sind wie in der intellektuellen Theoretisierung. Indem es seine Figuren in freundlicher Überspitzung, pointenorientiert und im Dialekt auftreten lässt, dabei jedoch stets diskursiv angebundene Inhalte verhandelt, verbindet das Theater den politischen Anspruch zeitgenössischer Bühnenkunst mit performativen Techniken des Volkstheaters.
Gäste willkommen, bitte um Anmeldung bei w.rademacher@muk.ac.at