Über die Meisterklasse mit Bo Nilsson an der Konservatorium Wien Privatuniversität berichtet Jörg Engels
Montag morgen, neun Uhr in der Früh — durch die halbgeöffnete Tür des Anton-Dermota-Saales in der Johannesgasse dringen seltsame Laute: Töne, die nur auf einem Trompetenmundstück, ganz ohne Trompete, oder gar nur mit den Lippen selbst erzeugt werden — die Abteilung Jazz der Konservatorium Wien Privatuniversität hat Bo Nilsson, den international wohl renommiertesten Blechbläserpädagogen eingeladen, und viele sind gekommen, ihn zu erleben.
Es gibt wohl nur wenige Orchester von Rang auf dieser Welt, in denen nicht einer oder gleich mehrere seiner „Schüler“ Dienst tun — aktuell kümmert er sich, neben seinen Studenten in Malmö und seinen Meisterschülern aus allen Teilen der Erde, unter anderem um Blech-Solisten aus den Philharmonischen Orchestern in Wien und Berlin — und entsprechend gespannt sind die Erwartungen aller Anwesenden, sowohl aus dem klassischen Fach wie aus der Abteilung Jazz. Was dann über die nächsten drei Tage folgt, wird für nicht wenige der Studenten aus beiden Musikrichtungen rückblickend vielleicht einmal zu einer „life altering experience“ werden: Bo Nilsson, 65 Jahre jung und seit 50 (!) Jahren als Lehrer aktiv ( „When I started teaching at age 15, I of course had no idea of what I was talking about …“ ), entlockt den Studierenden gerade, offen und frei klingende und nicht übermäßig angestrengt wirkende Töne, und dieses besonders bei Instrumentalisten, denen die instrumentaltechnische Seite bis dato nicht unbedingt „in den Schoß gefallen“ ist. Er verbindet, und das über die gesamte Dauer auf höchstem Level, die physische Kraft eines Arbeitspferdes (mit Kursuszeiten von 9 bis 13 und 15 bis 18 Uhr) mit der Sensibilität eines Goldschmiedes, wenn es darum geht, größere oder kleinere, eingebildete oder reale „Ansatzprobleme“ durch ein individuell abgestimmtes „fine tuning“ zu beheben.
Durch seine eigenen Studien, unter anderem bei Thomas Stevens in Los Angeles, bei Adolf Herseth in Chicago sowie bei dem kürzlich verstorbenen Pierre Thibaud in Paris und auf Grund der jahrzehntelangen Erfahrung als Orchestermusiker und Lehrer ist er in der Lage, die verschiedenen Trompetenlehrmethoden höchst kreativ dem jeweils aktuellen Falle anzupassen. Er kennt die Ideen hinter den Methoden. Um einige Kerninhalte herum („It’s air and tongue, not lip!“) bekommt z. B. ein „klassischer“ Trompetenstudent ein Programm zur Verbesserung seines Luftflusses, bestehend aus Elementen der Schulen von Herbert Clarke und James Stamp, während ein Jazz-Trompeter mit ihm an der Übertragung des Spielgefühls vom Trompetenmundstück (das mit einem kleinen Stück Metall vor, nicht in der Trompete steckt) auf das Instrument arbeitet.
So kommen in diesen drei Tagen viele wichtige Aspekte des Blechblasinstrumentenspiels an die Reihe, aber auch Strategien des Übens und natürlich nicht zuletzt musikalische Arbeit mit ausgewählten Studierenden der Klassen Johann Plank und Karl Steininger. Und obwohl natürlich in der klassischen Musiksprache zu Hause, findet Nilsson sogar noch übergreifende musikalische Möglichkeiten, um einem Jazz-Studenten die melodische Ausgestaltung des Jazz-Standards „Summertime“ näherzubringen …
Eine wahre Bereicherung für alle — das war die Meisterklasse mit Bo Nilsson in diesem Jahr. Und vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit, ihn im Jahre 2006 erneut einzuladen …
Jörg Engels
(Leiter der Klasse Jazztrompete)